Mit den Grundlagen der Zivilisation ist in den Katastrophen, Verbrechen und Kriegen des 20. Jahrhunderts auch das Konzept der Identität brüchig und begründungsbedürftig geworden und erscheint im Blick auf das Individuum zugleich als eine unverzichtbare, unhintergehbare Größe, um sich selbst zu verstehen und von anderen anerkannt zu werden. Angesichts der mit dem Konzept der Identität verbundenen Fallen und Chancen, Ansprüche und Versprechungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund dessen, dass es sich bei Identität immer um eine sowohl sozial als auch individuell zu leistende Konstruktion handelt, erscheint es nicht verwunderlich, dass diese auch zu einem zentralen Thema der zeitgenössischen Literatur geworden ist, zumal bei Autoren, die sich – etwa im Schatten der Shoa – mit den Vorgängen der Zerstörung von Menschlichkeit und Identität beschäftigen und damit auch die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen literarischer Verfahren stellen. Mit Bezug auf die Philosophen Charles Taylor und Emmanuel Levinas sollen im Seminar unter dieser Blickrichtung die erzählerischen Werke der polnischen Autorin Hanna Krall (*1935) und des deutschen Schriftstellers Jurek Becker (1937-1997) untersucht und erörtert werden.
Zur Einführung: Jürgen Straub: Identität. In: Friedrich Jaeger und Burkhard Liebsch (Hg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Stuttgart Weimar 2004, S. 277-303; Werner Stegmaier: Levinas. Freiburg 2002; Charles Taylor: Das Unbehagen an der Moderne. Frankfurt a. M. 1995. Georg Mrugalla: Hanna Krall. In: KLfG; Sander L. Gilman: Jurek Becker. Die Biographie. Berlin 2004. Von Beckers Romanen werden „Jakob der Lügner“ (1969), „Der Boxer“ (1976) und „Bronsteins Kinder“ (1986), von Hanna Kralls Werken die Textsammlungen „Existenzbeweise“ (1995), „Tanz auf fremder Hochzeit“ (1993) und „da ist kein fluss mehr“ (1999) zur Sprache kommen.