Martin Luther hat der evangelischen Christenheit die Verwandlung theologischer Grenzbegrifflichkeiten in ein Kunsthandeln aufgegeben, als er am Elstertor das Corpus Iuris Canonici den Flammen überantwortete. Mit diesem Autodafé wurde der evangelischen Kirche eine kunstreligiöse Inszenierung eingeschmolzen. Und zugleich: Das Corpus Iuris Canonici war Bestandteil des Reichsrechts. Luther zündelte also in einem Bereich, der die allgemein gültige Rechtsordnung betraf. Hatte man diesen Bereich verlassen, waren Gott und seine Anhänger, Anhängerinnen, auf sich allein gestellt.
Damit hatte Luther am Beginn des protestantischen Sonderwegs nur noch einmal in das Bild gebracht, was immer schon galt: Das institutionell verwaltete Gottesbewußtsein befindet sich – wenn es seine Worte nicht kunstvoll zu setzen vermag – stets in der Gefahr, Göttliches zu verfehlen.
Gefragt sind hier Phantasielenkungen durch die Literatur. Literatur und Religion – diesem Thema geht unsere Vorlesung nach, indem sie ausgewählte Kunstwerke der Literaturgeschichte vorstellt.