Als ästhetisches Programm strebt der Realismus eine größtmögliche Objektivität der Darstellung an: Er will nichts weniger als objektive, vollständige Mimesis in der literarischen Fiktion, d.h. die unverfälschte Wiedergabe des tatsächlichen Lebens an. Andererseits verbirgt dieser mimetische Anspruch ein grundsätzliches Paradoxon, denn die abgebildete ‚Realität‘ wird eigentlich erst durch die ästhetische Darstellung hervorgebracht. So gesehen erhält die objektive Weltdarstellung in der realistischen Literaturproduktion eine merkwürdige, fast gespenstische Realität – als etwas, was scheinbar da ist, aber eben nur scheinbar. Damit wird die Literatur des Realismus im 19. Jahrhundert zum Prüfstein für die Beziehung der Literatur zur Wirklichkeit überhaupt und die fortdauernde Präsenz von Gespenstern in Texten, in denen es eigentlich keine Gespenster mehr geben dürfte, wird leichter verständlich: nämlich als Moment der Selbstreflexion von Fiktionalität überhaupt.
In diesem Seminar werden wir einerseits wichtige theoretische Stationen in der Entwicklung des Realismus 19. Jahrhundert rekonstruieren, um in einem zweiten Schritt nach den soziokulturellen und technischen Bedingungen dieser spezifischen realistischen Programmatik und Ästhetik zu fragen. Mit Blick auf Werke u.a. von Raabe, Storm und Fontane sollen die gespenstischen Realitäten des Realismus in der Praxis untersucht werden.
Literatur zur Einführung: Hugo Aust: Realismus. Stuttgart und Weimar: Metzler, 2006. Weitere Literaturvorschläge und Leseliste ab September im StudIP.
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