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Als Spezimen fiktionalen Erzählens ist die lateinische Visionsliteratur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in gleichem Maße religiös wie politisch motiviert: sie gibt dem Gläubigen anhand von detaillierten Erlebnisberichten recht genaue Vorstellungen von Strafen und Belohnungen, die ihm je nach Lebensführung im Jenseits zuteil werden. Zugleich warnt sie die Lebenden, besonders die Mächtigen, vor Mißbrauch ihrer Stellung, indem sie abschreckende Beispiele von zeitgenössischen hochrangigen Unterweltsbüßern schildert.
Die Vorlesung informiert in einem diachronen Überblick über Form, Funktion und Entwicklung der Diskurstradition Visionsbericht von der Spätantike bis zu Dante; dazu werden in der Übung vertiefend Texte aus dem visionären Oeuvre Hildegards von Bingen gelesen. Das Hauptseminar behandelt ein mit der Vision eng verwandtes Spezimen fiktionalen Erzählens, und zwar den Traum, dessen jeweilige erzähltechnische Funktion in ausgewählten epischen Großdichtungen des Mittelalters und der Renaissance analysiert werden soll.
Literatur:
- Peter Dinzelbacher, Vision und Visionsliteratur des Mittelalters, Stuttgart 1981;
- ders., Mittelalterliche Visionsliteratur. Eine Anthologie, Darmstadt 1989;
- ders., Himmel, Hölle, Heilige. Visionen und Kunst im Mittelalter, 2002;
- Hans Joachim Kamphausen, Traum und Vision in der lateinischen Poesie der Karolingerzeit, Bern u.a. 1975;
- weitere Literatur, besonders zur Traumdeutung, wird in der Veranstaltung bekannt gegeben.
