In diesem Lehrveranstaltung möchte ich einen besonderen Aspekt der verzerrenden Wahrnehmung behandeln, der seit jeher bei der Definition des Wesens des Judentums in seiner kultischen Bedeutung eine große Rolle gespielt hat und noch immer spielt: die sogenannten jüdischen Riten und Zeremonien, denen in jeder Einführung in die jüdische Kultur und Religion ein Kapitel gewidmet wird. Was verbirgt sich hinter dieser Charakterisierung jüdischer religiöser Praktiken? Warum sprechen auch Juden von ihren Feiertagen und Bräuchen als Zeremonialgesetz, also von Ritualen? Wo entsteht diese kultische Identität? Meine These, die ich hier unter Beweis stellen möchte, geht von der Verbreitung einer neuen Literaturgattung im 16. Jahrhundert aus, deren Wurzeln in der politischen Philosophie des 13. Jahrhunderts zu suchen sind. Untersucht wird hier die Ritenliteratur und wie sie sich aus der politisch-philosophischen Theorie des Thomas von Aquin entwickelt hat.