Im 11. und 12. Jahrhundert haben jüdische Dichter mit Hilfe von Motiven aus der arabischen Philosophie und Poesie der jüdischen Poesie eine neue Dimension erschlossen. Die auch in den weltlichen Wissenschaften gebildeten Poeten verschmolzen Konzepte aus der Seelenlehre der Philosophen mit der antiken synagogalen Dichtung (Piyyut) zu einer neuartigen introspektiven Poesie. Ihr Stil antizipiert das Konzept der individuellen Seele und fand daher nicht nur Eingang in religiöse Dichtung wie Bibelkommentare oder ethische Traktate, sondern auch in Prosaerzählungen und Lehrgedichte.
Nach einer Einführung in die philosophischen und mystischen Quellen der jüdischen Poesie (v.a. Neuplatonismus und Sufismus) soll anhand ausgewählter Gedichte und kürzerer Prosatexte von Salomon ibn Gabirol, Moses und Abraham ibn Ezra wie auch Jehuda Halevi und Itzhak ibn Ghihat die Technik der Verwebung jüdischer und arabischer Traditionen untersucht werden. Wie hat die Verwebung von (säkularen) philosophischen Motiven und (religiösen) Zitaten funktioniert und wie konnte aus diesen scheinbar disparaten Elementen etwas Neues, die introspektive Poesie, entstehen? Im gewissen Sinn war diese Verwebung auch ein Abbild des kulturellen Lebens in Andalusien, auf das das Seminar ebenfalls intensiv eingehen wird.
Literatur:
Adena Tanenbaum, The Contemplative Soul. Hebrew Poetry and Philosophical Theory in Medieval Spain, Leiden/Boston/Köln 2002.
Brann Ross, The Compunctious Poet: Cultural Ambiguity and Hebrew Poetry in Muslim Spain, Baltimore 1991.
Raymond P. Scheindlin, The Gazelle. Medieval Hebrew Poems on God, Israel, and the Soul, Philadelphia/New York 1991.
Raymond P. Scheindlin, “Ibn Gabirol’s Religious Poetry and Sufi Poetry”, Sefarad 54 (1994), 109-41.
Yoseph Tobi, Between Hebrew and Arabic Poetry: Studies in Spanish Medieval Hebrew Poetry, Leiden 2010.