Die moderne Geschichtsschreibung wurde – absichtlich oder unabsichtlich – aus westlicher Perspektive geschrieben, weil ihre Autor*innen meist diesem (aschkenazischen) Kulturkreis angehörten. Noch bis in unsere Tage erfuhren daher die sefardischen Autoren oder Mizrachim im Nahen Osten entweder eine deutlich geringere Aufmerksamkeit oder sie galten – versteckt oder offen – als unmodern, weil sie angeblich die Erfahrungen der Aufklärung, Säkularisierung und Modernisierung nicht gemacht hätten. Ziel des Seminars wird es sein, durch ein close reading ausgewählter hebräischer Texte von Rabbinern wie Abdallah Somekh (Bagdad), Yitzhak Dayyan (Aleppo), Israel Moshe Hazan (Kairo), Ben-Zion Meir Hai Uziel (Jerusalem) diese These zu überprüfen. Was haben diese Autoren zum Verhältnis von Säkularisierung und Tradition, zur Rolle der westlichen Philologie für die Erforschung der jüdischen Traditionen, zum Verhältnis der Sprachen des Arabischen und Hebräischen, zur Präsenz der europäischen Kultur im Orient gedacht? Es wird sich zeigen, dass die Mizrachim nicht nur zum säkularen Zionismus, sondern bereits im 19. Jahrhundert zur jüdischen Aufklärung (Haskala), Industrialisierung und der Präsenz der europäischen Kultur im Osten eigene kritische Standpunkte entwickelt hatten.
Literatur:
-Behar, Moshe and Benite, Zvi Ben-Dor: Modern Middle Eastern Jewish Thought. Writings on Identity, Politics, & Culture 1893-1958, Waltham 2013.
-Simon, Reeva Spector: The Jews of the Middle East and North Africa in Modern Times, New York 2002.
-Stillman, Norman A.: Sephardi Religious Responses to Modernity, Luxembourg 1995.
Zohar, Zvi, Rabbinic Creativity in the Modern Middle East, London 2013.